In der angesehenen deutschen Zeitung Frankfurter Rundschau wurde ein ausführliches Interview mit dem Vorsitzenden der Aserbaidschanischen Volksfrontpartei (AXCP), Ali Karimli, veröffentlicht.
Obwohl das Hauptthema des Interviews geopolitische Prozesse betraf, warfen zwei Fragen der Journalisten ein Schlaglicht auf die reale politische Situation in Aserbaidschan.
Wir präsentieren das Interview.
„Alijew braucht Russlands Präsenz im Südkaukasus“
Der aserbaidschanische Oppositionsführer Ali Karimli spricht im Interview über den Konflikt seines Landes mit Putin, das Verhältnis zu Armenien und zur Europäischen Union.
Der aserbaidschanische Oppositionsführer Ali Karimli bleibt trotz Festnahmen, Prügelattacken und Dauerüberwachung in seiner Heimat, um für die Demokratie zu kämpfen. Im Interview spricht er über das Regime von Staatschef Ilham Alijew, dessen Konflikt mit seinem Diktatorenkollegen Wladimir Putin und aserbaidschanische Hoffnungen auf die EU.
Herr Karimli, nachdem bei brutalen Massenfestnahmen im russischen Jekaterinburg zwei Aserbaidschaner umkamen, ist Ilham Alijew auf Konfrontationskurs zu Wladimir Putin gegangen. Unterstützen Sie Alijew in der Frage?
Unterstützen ist wohl das falsche Wort, es gibt nichts an Alijews Regime, das ich unterstützen würde. Aber ich verteidige die Aserbaidschaner, die in Russland leben und dort Opfer staatlicher Gewalt werden. Ich bin gegen Moskaus imperiale Ambitionen, dagegen, dass es die Ex-Sowjetrepubliken, die jetzt unabhängige Staaten sind, wie Vasallen behandelt. Das gilt für Aserbaidschan, aber auch für Russlands aggressiven Krieg gegen die Ukraine, für seine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Moldawiens und Armeniens.
Mental wirken Alijew und sein langjähriger Diktatorenkollege Wladimir Putin wie natürliche Verbündete.
Der Hass auf die Demokratie, ihre antiwestliche Rhetorik und der Drang nach lebenslanger Macht hat sie einander weltanschaulich wirklich sehr nahe gebracht. Alijew will auf Distanz zu Russland gehen, aber ohne das Verhältnis zu Putin zu ruinieren. Er braucht Putins Regime, damit der internationale „Klub der Autokraten“ nicht zerfällt, zu dem auch Alijew gehört. Und er braucht Russlands Präsenz im Südkaukasus, als Gegengewicht zum wachsenden Einfluss des Westens in der Region. Nicht zufällig hat er nie mit dem Austritt aus der GUS oder der Auflösung des Bündnisvertrags mit Russland gedroht. Nach seinen Meinungsverschiedenheiten mit Emmanuel Macron hat er das einzige französische Lyzeum in Aserbaidschan schließen lassen. Aber 340 Mittelschulen unterrichten weiter auf Staatskosten hunderttausend aserbaidschanische Kinder nach russischem Lehrplan.
Alijew stellt sich jetzt demonstrativ hinter die territoriale Unabhängigkeit der Ukraine. Sucht er nicht doch die Nähe zum Westen?
Ihm reicht es, wenn das so aussieht. Er glaubt, wenn er den Westen überzeugen kann, dass er jetzt unabhängig von Russland Politik macht, wird der Druck des Westens wegen Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan nachlassen. Aber ein Regime, das Bürgerrechte hasst und die demokratischen Aktivisten verfolgt, die sich für sie einsetzen, plant keine wirkliche Annäherung an den Westen.
Traut Alijew Putin wirklich noch viel zu, nachdem der seine Verbündeten in Armenien, Syrien und dem Iran im Stich gelassen hat?
Besonders der Sturz Assads in Syrien hat Alijew überzeugt, dass Putins Regime schwächer geworden ist und er seine Vasallen ohne weiteres opfert. Auch der Sieg im zweiten Karabach-Krieg gegen Armenien hat Alijews Anspruch gestärkt, dass Russland seine Interessen und seine gewachsene politische Unabhängigkeit respektieren muss. Das war der Status quo vor dem neuen Konflikt. Aber der passt Putin nicht. Er erwartet von Alijew ein Bündnis wie mit dem Belarussen Alexander Lukaschenko, also völlige Unterordnung. Putin sagt, er wolle den gesamten postsowjetischen Raum wieder unter seine Kontrolle bringen. Diese imperialen Ansprüche wachsen noch. Deshalb denke ich, die Spannungen zwischen Russland und Aserbaidschan werden weitergehen.